Die Ereignisse in Chemnitz von Sonntag/Montag tragen zuallererst einmal Züge von Staatsversagen. Politische und polizeiliche Fehleinschätzungen haben dazu geführt, daß sich der rechtsradikale Mob teilweise ungehindert bewegen konnte. DAS darf sich nicht wiederholen und wird es hoffentlich auch nicht. Die Instrumentalisierung eines Tötungsdeliktes ist "zutiefst erschütternd und befremdlich", wie der Landesbischof mit Recht erklärt. Genau das ist es nämlich. Aber es ist noch absurder: Ein Mann spricht sich gegen Nazis und die AfD aus. Dieser Mann wird getötet. Nazis und die AfD behaupten, für diesen Mann einzutreten, indem sie Menschen, die wie er einen Migrationshintergrund haben, durch die Stadt jagen. Ich vermute, man muss zu einer dieser Gruppen gehören, um das logisch zu finden.
Dennoch: Mir scheint, die sächsische Landesregierung hat langsam begriffen, daß akuter Handlungsbedarf besteht. Ob daraus wirklich etwas folgt, werden die nächsten Tage zeigen.
In Chemnitz ist dieser Tage etwas zerbrochen und es zeigt sich ein Abgrund darunter. Ein Toter und die ihm folgenden Gewaltausbrüche könnten ein Vorzeichen sein für das, was kommen wird. Oder auch nicht. Es liegt an: uns.
Wenn etwas zerbricht, kann auch der Blick frei werden – auch wenn der Anblick erschrecken lässt. Zu sehen ist ein Teil der Gesellschaft in Sachsen, der unter Hochspannung steht. Aufgeladen mit Hass und Wut auf Migranten und den liberalen Wandel vieler Werte. Rund 1000 von ihnen gingen in Chemnitz auf die Straße, einige jagten nach Augenzeugenberichten Menschen, wenige Tage zuvor ging es in Dresden gegen Journalisten.
Zu sehen ist auch: eine Messerstecherei. Ein Toter und zwei schwer Verletzte, ein schreckliches Verbrechen. Die Polizei nahm einen Syrer und einen Iraker als Tatverdächtige fest, mehr ist bis zum Redaktionsschluss nicht bekannt. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen – und da ist immer Vorsicht geboten –, würde sich noch ein Abgrund öffnen: Jener Schatten der Gewalt und der Verletzungen in den Herkunftsländern vieler flüchtender Menschen, der einige bis nach Deutschland begleitet. Viele von ihnen leiden hier stumm unter ihm, bei einigen ganz Wenigen führt er zu neuer Gewalt. Und zu neuen Opfern.
Wer Frieden will, muss jetzt nüchtern bleiben. Und die Dinge als die ansehen, die sie sind. Ja, die Aufnahme von Menschen aus fernen Kulturen ist nicht immer ein Festival. Und ja, da kippt etwas in Sachsen. Und zwar nach rechts. Und jeder, der auch nach der Landtagswahl im nächsten Jahr noch ein menschenfreundliches Sachsen will, sollte langsam aufwachen. Auch die Kirche hat da noch Luft nach oben. Sonst steht Chemnitz wirklich für die Zukunft.
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