Am Abend lädt die Thomaskirche Leipzig um 20 Uhr ein zur diesjährigen Leipziger Disputation: Disputieren werden der Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland, Thies Gundlach, der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, und Ulrich H. J. Körtner, Ordinarius für Systematische Theologie der Universität Wien. Das Thema ist: »Kirche der Zukunft – Moralagentur oder Bekenntnisgemeinschaft?«. Moderiert wird die Veranstaltung von Heike Schmoll von der Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Am 11. Mai 2017 fand der »Thesenanschlag« für die diesjährige Leipziger Disputation in der Thomaskirche statt. Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke, Pfarrerin Britta Taddiken und die Rektorin der Universität Leipzig, Prof. Beate Schücking »schlugen« die Thesen an der Kirchentür an.
Sechs Thesen 2017:
1. »Radikale Christusliebe heißt radikale Liebe zur Welt.« (Heinrich Bedford-Strohm)
Sätze wie dieser scheinen den Vorwurf zu befördern, der moderne Protestantismus löse die Kirche in die Welt auf. Christus aber spricht: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt.« (Johannes 18,36) Haben wir es hier mit einem nur scheinbaren oder einem wirklichen Widerspruch zu tun?
2. »Verbreitet ist die These, das Christentum sei in der Moderne in sein ethisches Zeitalter eingetreten«, was die »Reduktion des Evangeliums auf moralische Handlungsanweisungen« begünstige. (Ulrich H. J. Körtner) Ist der christliche Glaube nur noch als Ethik relevant, Kirche nur als politische Moralagentur unter dem Deckmantel ihres sogenannten »prophetischen Wächteramts«?
3. Moral und Emotion bestimmen derzeit Politik und Kirche, nicht zuletzt in der Flüchtlingsdebatte.
Wird damit eine der wichtigsten Errungenschaften der Reformation verspielt: die Unterscheidung von Politik und Kirche, mit Luther Zwei-Regimentenlehre genannt? Gilt noch Luthers Rechtfertigung allein aus Glauben oder führt die Ethisierung aller Lebens- und Glaubensbezüge im 500. Jahr der Reformation zu neuer Werkgerechtigkeit?
4. Nicht wenige evangelische Theologen kritisieren den Ökumenekurs der EKD im Reformationsjahr, in dem nicht einfach die Reformation gefeiert werden soll, sondern ein »ökumenisches Christusfest«. Werden damit bis heute bestehende Differenzen zwischen Katholiken und Protestanten zum Schaden beider verwischt?
5. In dieser Situation stellt es ein Problem dar, wenn von Seiten der EKD der »Ausfall perspektivischer Theologie« beklagt wird. (Thies Gundlach)
Was ist los mit den evangelischen Theologen? Haben sie Gott verloren, können sie nur noch historisierend Glaubensinhalte behandeln?
6. Zentral für das christliche Bekenntnis ist die Bezeugung des Heils allein durch Christus für alle Welt.
Nehmen wir diesen Anspruch in einer pluralistischen Gesellschaft noch ernst? Gilt Christi Missionsauftrag allen oder nehmen wir zuerst die Juden aus, dann die Muslime und zum Schluss alle Welt? Würde es dann noch Kirche geben?
Als Leipziger Disputation wird ein heftiges theologisches Streitgespräch zwischen dem katholischen Theologen Johannes Eck und den führenden Vertretern der reformatorischen Bewegung, Martin Luther, Andreas Karlstadt und Philipp Melanchthon, bezeichnet, welches im Jahr 1519 stattfand.